Interview

»Hochstapler, Lügner und Betrüger«

»Du lügst die ganze Zeit«: Rainer Höß mit der Auschwitz-Überlebenden Eva Mozes-Kor bei der Aufzeichnung der ZDF-Talkshow »Markus Lanz« im Jahr 2015 Foto: imago

»Der Mann, der heute bei uns ist, der hatte heute viele Fernsehangebote, und hat sie alle abgesagt«, leitet die Moderatorin der SWR-Landesschau Baden-Württemberg das Gespräch ein. »Er ist zu uns gekommen an diesem 27. Januar, an diesem wichtigen Tag – Holocaust-Gedenktag, Befreiung von Auschwitz – und ich bin sehr stolz darauf, dass er heute bei uns ist: Rainer Höß.«

Es war nicht der erste Besuch von Höß im TV-Studio: Exakt vier Jahre zuvor saß er schon einmal als Experte in der Landesschau. Seit geraumer Zeit gehört der 55-Jährige aus Weil der Stadt am Rande des Schwarzwalds dazu. Er ist ein gerne angefragter Gesprächspartner. Und das, obwohl er erst 20 Jahre nach dem Ende der Schoa zur Welt kam und nicht als Experte für das NS-Regime oder den Holocaust gelten kann.

Der Grund ist simpel: Rainer Höß ist Enkel des berüchtigten Kommandanten des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Rudolf Höß wurde 1947 zum Tode verurteilt und in Auschwitz gehenkt.

Der israelische Journalist Eldad Beck nennt Rainer Höß einen »Hochstapler, Lügner und Betrüger«. Im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen geht der Europa-Korrespondent der Tageszeitung »Israel Hayom« auch mit den deutschen Medien hart ins Gericht.

Herr Beck, Sie haben schon vor knapp zehn Jahren Rainer Höß nach Auschwitz und später auch nach Israel begleitet. Jetzt erheben Sie schwere Vorwürfe gegen ihn. Warum?
Diese Vorwürfe stehen ja schon seit vielen Jahren im Raum; ich habe darüber wiederholt berichtet. Im Juni nun wurde Rainer Höß vom Amtsgericht Leonberg wegen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Ich habe das Verfahren verfolgt. Dabei kam auch heraus, dass Höß eine Reihe von – mittlerweile verjährten - Vorstrafen hat. Zuletzt wurde er 2016 verurteilt. Die Richterin in dem jüngsten Prozess bedauerte es ausdrücklich, dass sie Höß nur auf Bewährung verurteilen konnte, weil die Bewährungszeit für die vorangegangene Strafe kurz zuvor abgelaufen war. Höß ist ein Wiederholungstäter. Es kommt bald ein weiterer Prozess.

Worum ging es bei dem Verfahren in Leonberg?
Rainer Höß wurde zur Last gelegt, sich unter dem Vorwand, die Rechte für einen Film kaufen zu wollen (in der Hauptrolle: Rainer Höß), von einem Mann Geld geliehen und nicht wieder zurückbezahlt zu haben. Der Film wurde zwar produziert. Es ging darin unter anderem um seine Beziehung zur Auschwitz-Überlebenden Eva Mozes-Kor. Sie hatte 2014 Höß symbolisch als Sohn »adoptiert« und ging sogar mit ihm in deutsche Talkshows. Später hat sie ihn aber durchschaut und ihm signalisiert, dass sie nichts mehr mit ihm zu schaffen haben wolle. Sie hat ihm geschrieben: »Du lügst die ganze Zeit.«

Rainer Höß hat einmal gesagt, er sei »süchtig nach Auschwitz«. Sie haben ihn kennengelernt. Was treibt ihn nach an?
Er ist geltungssüchtig. Und er will Geld und Ruhm. Seinen Nachnamen benutzt er als Hilfsmittel für das Erlangen von Vermögen. Schon damals, als wir gemeinsam Auschwitz besuchten, beschlich mich das Gefühl, als interessiere er sich nur für die ehemalige Dienstvilla seines Großvaters und weniger für das Lager selbst.

Wie kam es, dass Sie mit Höß zusammen nach Auschwitz fuhren?
Ich wurde auf Höß aufmerksam, als er versuchte, Gegenstände aus dem Nachlass seines Großvaters an Yad Vaschem zu verkaufen. Die E-Mails von damals habe ich noch. Yad Vashem hat das Angebot natürlich empört zurückgewiesen. Aber so wurde ich auf ihn aufmerksam. Ich habe ihn kontaktiert, um zu sehen, inwieweit er versteht, dass seine Initiative gegenüber Yad Vashem falsch war.

Und?
Er hat mir viele Sachen erzählt, die nichts mit der Wahrheit zu tun hatten, wie ich später erfuhr. Unter anderen sagte er mir, dass er wegen seines Namens nicht nach Auschwitz reisen dürfe. Diese Aussage schien mir sehr seltsam. Ich selbst war damals noch nie in Auschwitz gewesen, und so habe ich ihm angeboten, gemeinsam dorthin zu fahren – dritte Generation der Täter mit dritter Generation der Opfer sozusagen. Das war 2009, und es war auch Rainers erster Besuch dort. Ich habe darüber in Israel und in Deutschland berichtet. Es war das erste Mal sei Ende des Zweiten Weltkriegs, dass jemand aus der Familie Höß ein Interview gegeben hatte.

Nun sagt Höß, er sei ein Opfer seiner eigenen Familiengeschichte, die zu Hause unter den Teppich gekehrt worden sei. Er wolle dafür sorgen, dass die NS-Zeit in Deutschland nicht in Vergessenheit gerate und mache sich Sorgen um einen Rechtsruck in Deutschland ...
Wer’s glaubt, wird selig. Ich hatte schon damals das Gefühl, dass das nur ein Vorwand ist.

Inwiefern?
Bei seinen Gesprächen mit Überlebenden und deren Nachfahren, aber auch in seinen Interviews in den Medien geht es meist nur um Rainer Höß und nicht um das Leiden der Opfer. Schlimmer noch ist, dass er Schoa-Überlebenden Märchen erzählt hat und versucht hat, sie auszunehmen. Und das gleich mehrfach. Nein, Rainer Höß ist ein Opportunist, wie er im Buche steht. Sein eigener Bruder war beim Prozess in Leonberg entsetzt darüber, als das Vorstrafenregister verlesen wurde. 13 Mal war Rainer Höß demnach seit 1991 schon von Gerichten verurteilt worden, auch wegen Betrugs und Dokumentenfälschung. Leider trauen sich viele seiner Opfer nicht, ihn anzuzeigen. Sie schweigen lieber in Scham. Dafür will ich sie auch gar nicht kritisieren, menschlich kann ich das nachvollziehen. Dieses Schweigen schadet aber anderen Menschen, die dann zu Opfern werden.

Nun kritisieren Sie Rainer Höß und seine Auftritte seit Jahren. Trotzdem wird er immer wieder als Experte in TV-Sendungen eingeladen, vor allem rund um den Holocaustgedenktag im Januar. Wie erklären Sie sich das?
Es ist ja auch von einigen anderen darüber berichtet worden, ich nenne nur Alan Posener in der »Welt«. Aber leider schert das die meisten Journalisten hierzulande nicht. Und was die Opfer betrifft, die Höß betrogen hat: Wer legt sich schon gern mit jemandem an, der am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz bei deutschen Fernsehsendern auftritt und der von einem der Mengele-Zwillinge ›adoptiert‹ wurde? Mit jemandem, der am Wahlkampf der schwedischen Sozialdemokraten teilgenommen hat und auf CNN von Christiane Amanpour interviewt wurde? Ich bin der Meinung, dass die mediale Präsenz von Höß ihm womöglich ein Stück weit Schutz vor weitaus härteren strafrechtlichen Konsequenzen verschafft und geholfen hat, so seine Machenschaften zu kaschieren.

Warum spielen deutsche Medien dieses »Spiel« des Kommandanten-Enkels denn mit?
Das ist für mich der eigentliche Skandal. Der Holocaust und das Leiden der Opfer interessieren diesen Mann nicht die Bohne. Er hat zu dem Thema auch nichts beizusteuern. Das einzige, was Rainer Höß interessiert, ist Rainer Höß. Er will von seinem Großvater und dessen schrecklicher Rolle in Auschwitz finanziell profitieren, und betrügt dafür sogar Schoa-Überlebende. Das muss man sich mal vorstellen ... So jemandem eine öffentliche Bühne zu geben, wie es die deutschen Medien seit Jahren tun, ist eine Schande. Diesem Mann müsste man das Handwerk legen, anstatt ihn in TV-Studios oder als Vortragsgast an Schulen und Gemeindezentren einzuladen.

Warum sind Ihrer Ansicht nach die deutschen Medien den Vorwürfen gegen Rainer Höß nie groß nachgegangen, obwohl sie schon lange publik sind?
Das ist schwer zu sagen. Da ist natürlich eine gewisse Sensationslust und eine Story, die auf den ersten Blick interessant klingt. Schlimm finde ich, dass man Leute wie mich sogar kritisiert, wenn ich versuche, die Wahrheit über Rainer Höß aufzudecken. Dieser Mann hat mich unzählige Stunden meines Lebens beschäftigt, aber die Gerichtsverhandlung in Leonberg hat bewiesen, dass ich zurecht vor ihm gewarnt habe. Ich hoffe, dass die Rainer-Höß-Festspiele in den deutschen Medien jetzt endlich beendet werden.

Das Interview mit Eldad Beck führte Michael Thaidigsmann

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